1. Tag des 6 Mondes 1019 DF
Die Nacht war unruhig, ständig hörten wir die Kriegstrommeln der Wildlinge und früh morgens krochen wir unausgeschlafen aus unseren Zelten. Als erstes stand die Untersuchung der Leiche, die wir gestern Nacht gefunden hatten, auf dem Plan. Unsere Heilerin, Allena erbot sich diese Aufgabe zu erfüllen und sie konnte nach kurzem Fachmännischen Blick bestätigen, dass der Mann schon seit einigen Tagen Tod war, doch nach seinem Tod bewegt worden war.
Nach der Untersuchung der Leiche und deren Bestattung, sahen wir uns die Habseligkeiten, die er bei sich getragen hatte, genauer an und ein Tagebuch erweckte im Speziellen unsere Aufmerksamkeit. Der Mann war ein Gelehrter aus der Hauptstadt, welcher ausgezogen war, das Volk Wildlinge, welche es in den Wäldern der Zwillingsmark zu Hauf gab, genauer zu erforschen.
Er beschrieb in seinem Tagebuch, dass die Wildlinge weit weniger unzivilisiert waren als man Oberflächlich meinen konnte. Ihr Leben waren von einer relativ strickten Stammeskultur geprägt, die den natürlichen Elementen und Geistern huldigte. Es gab vier Stämme, in die sich die Wildlingkultur aufteilte. Neben den braunen und roten Wildlingstämmen, denen wir schon begegnet waren, gab es noch den blauen und den grauen Stamm.
Während die Braunen der Erde und die Roten dem Element Feuer zugetan und eher Kämpferisch orientiert waren, deckten die Blauen respektive die Grauen eher die intellektuellen und spirituellen Bereiche des Wildlingslebens ab. Er beschrieb, dass die blauen Wildlinge meist die Weisen und Anführer hervorbrachten, während die grauen Wildlinge die schamanistische Kaste der Wildlinge darstellte. Von den Grauen habe er allerdings nur gehört, denn diese seien allgemein sehr selten, die Mehrheit des Volkes wurde von den Braunen und Roten gestellt. Vor ein paar Wochen hatten die Stämme der braunen und roten Wildlinge allerdings einen folgenschweren Fehler begangen. Sie waren, so die Aufzeichnungen des Forschers, in die unterirdischen Höhlen eingedrungen, in denen sich bis zum Anfang dieses Jahrs der Nekromant aufgehalten hatten. Sie waren wohl über dessen magische und alchemistische Tinkturen hergefallen und hatten diese als Kampfelixiere missbraucht. Der Anführer der Wildlinge wurde dabei getötet und seitdem werden die Wildlinge beeinflusst durch die Gifte des Nekromanten in den Wahnsinn getrieben. Dies erklärte auch das erhöhte Gewaltpotential der Wildlinge. Denn bisher waren sie den Zwillingsmarklern zwar nicht freundlich gesonnen, hatten die Pilgerwege aber unbehelligt gelassen. Dies änderte sich durch die Geschehnisse im Winter grundlegend.
Der Forscher berichtete weiter, dass es wohl in dieser Gegend einen blauen Weisen der Wildlinge gäbe, mit dem er sich viel unterhalten hatte, da dieser die Gemeinsprache beherrschte. Im Gegensatz zu den meisten anderen Wildlingen, die es nicht wirklich in Erwägung zu ziehen schienen, sich mit anderen Völkern auszutauschen.
In einer kleinen Karte, welche er in sein Tagebuch gezeichnet hatte, war ein Ort markiert, an dem der Weise die Geschichte der Wildlinge aufgeschrieben und in Steinplatten verewigt hatte. Dieser heilige Ort war, wie wir erfreut feststellten, nicht weit entfern von unserer aktuellen Position. Torgar versammelte sogleich ein paar Mutige um sich, um nach diesen Steintafeln zu suchen und so vielleicht mehr über die Wildlinge und ihre Ziele herauszufinden.
Immerhin mussten wir noch den Schaden, den der Orden an der Maschine und der Magie ringsum angerichtet hatte beseitigen und das konnten wir nur, wenn uns die Wildlinge gewähren ließen. Selbstredend, dass ich zu dieser erlesenen Gruppe zählte. Es ging schlicht um die Geschichte eines ganzen Volkes! Wie konnte ich, als Geschichtenerzähler und Archivar der loriter Akademie, auch nur daran denken faul auf meinem Hintern sitzend im Lager zu bleiben?
Abermals bewies Torgar, der Templer, seine Besonnenheit, denn es gab durchaus Stimmen im Lager die von der Idee, sich mit den Wildlingen zu einigen, nicht viel hielten. Die Wildlinge waren in ihren Augen nicht mehr als Tiere, die es zu vertreiben galt, wenn nötig mit Gewalt. Bedauerlich. Auf eine gewisse Weise schien die gegenseitige Akzeptanz oder vielmehr das fehlen dieser auf beiden Seiten, die der „zivilisierten“ Menschen und die der Wildlinge, vorzuherrschen.
Über Stock und Stein, durch dichtes Unterholz und Böschungen hinauf ging es auf der Suche nach den Steinplatten und dem Ort, den uns die Karte gewiesen hatte. Wir fanden den Ort schließlich, doch waren wir nicht, wie wir gehofft hatten, allein. Mehrere Wildlinge lagerten bei den Steinen und schütteten gerade – so vermute ich – die Tränke, die sie in den Höhlen gefunden hatten in sich hinein. Als wäre näherkamen, griffen sie uns mit wildem Zorn und ohne auch nur einen Moment inne zu halten an.
Während der Kampf wild ringsum tobte, versuchte ich die Steinplatten, drei an der Zahl, abzuzeichnen. Kurz bevor ich damit fertig war, die Steine abzuzeichnen, griff mich einer der Wildlinge in wilder Rage an. Einer unserer Kämpfer hatte in einem Moment der Unachtsamkeit eine Lücke in der Verteidigung gelassen welche der Wildling sofort auszunutzen. Er schlug nach meinem Geschichtenerzähler-Leib und streifte schmerzhaft meinen Kopf und meine Schulter, bevor er von Torgar niedergemacht werden konnte.
Das Blut der Kopfwunde troff mir in die Augen und meine Schulter schmerzte und dennoch vollendete ich die letzte Zeichnung und wir konnte uns zurückziehen. Die Flut der nachrückenden Wildlinge ebbte nicht ab, was einen Rückzug nur um so schwerer machte. Ich vermute, dass sie der Meinung waren, wir hätten einen ihrer heiligen Orte entweiht und dass sie uns für diese Tat nicht entkommen lassen wollte.
Was soll ich sagen, die Götter waren uns hold, alle. Mit Schrammen, Kratzern und tiefen Wunden schleppten, kämpften und flüchteten wir uns zurück ins Lager, dorthin wo unverbrauchte kämpferische Energien darauf warteten die Wildlinge in Empfang zu nehmen. Und was das für ein Empfang war. Die Wildlinge zogen sich rascher zurück als eine Horde Füchse, wenn der Bauer zum Hühnerstall kommt.
Während wir unsere Wunden versorgten, versuchten wir die Zeichnungen, die wir auf den Steinplatten gefunden hatten zu analysieren.
Wir stellten recht schnell fest, dass die Steine vor Ort zwar nicht in der korrekten Reihenfolge aufgestellt waren, doch alle hatten eine Markierung in Form von eingemeißelten Punkten in der rechten oberen Ecke. Schnell erkannten wir, dass die Anzahl der Punkte mit der zeitlichen Reihenfolge der Ereignisse in der Geschichte der Wildlinge zusammenhing.
Am Anfang herrschte Krieg zwischen den 4 Stämmen der Wildlinge. Es gab keine Einigkeit, keine Kommunikation, keinen Frieden zwischen ihnen. Ein ständiger Kampf um die Vorherrschaft. Damals schien es die vier Runensteine schon zu geben und die Wildlinge stritten um die Kontrolle darüber. Irgendwann tauchte jemand auf, der den Wildlingen als eine Art Gott die Maschine brachte und sie einte. Von da an, verehrten sie die Maschine als ihren Gott und der Krieg zwischen den Stämmen war beendet, bis heute. Bis zu jenem Zeitpunkt, als das Höhlensystem Anfang des Jahrs geöffnet, der Nekromant vertrieben wurde und einige Wildlinge sich dort bei den üblen Hinterlassenschaften bedient hatten.
Irgendwann wurde uns klar, dass wir, bevor wir uns um den geflohenen Totenbeschwörer kümmern konnten, zumindest den Status Quo hinsichtlich der arkanen Maschine wiederherstellen mussten. Ob wir dann, im Zuge dieser Unternehmung, noch etwas über den Nekromanten herausfinden konnten und ob wir eine Spur zu ihm fanden, war ohnehin fraglich. Die Spur war, würde wohl ein Jäger sagen, vorerst kalt.
Nebenbei sei erwähnt, auch wenn es sich im Moment für den geneigten Leser nicht so darstellt, dass wir im Laufe des Tages immer und immer wieder von braunen und roten Wildlingen angegriffen wurden. Unser Besuch bei den Steinplatten war nicht ohne Konsequenz geblieben. Es stellte sich aber heraus, dass wir nicht die Einzigen waren, die den Wildlingen des roten und braunen Stamms ein Dorn im Auge waren. Denn im Verlauf des Nachmittags kam ein in blaue Stoffe gekleideter Mann in unser Lager gelaufen, gejagt von Wildlingen. Als wir diese Jäger zurückgedrängt hatten und ihnen sehr eindringlich klar machten, dass sie hier nicht erwünscht waren und der Blaue vorerst unter unserem Schutz stand, stellte der Mann sich als Mardukai vor. Er war ein Vertreter des blauen Stamms und eine Art Druide oder Weiser. Er bat uns um Schutz vor den wahnsinnig gewordenen Wildlingen im Austausch für Informationen.
Nur wenige Minuten später, kam wieder jemand von Wildlingen gejagt in unser Lager gestolpert. Diesmal war es eine Frau, ebenfalls ein Wildling, doch diesmal eine Vertreterin des grauen Stamms. Sie stellte sich als Aerea vor und der graue Stamm, so ihre kurze Erklärung, bildete in der Wildlingskultur die spirituellen Führer, also eine Art Schamanin. Auch sie bat darum, dass wir sie vor ihren ehemaligen Freunden beschützen sollten und auch sie bot uns Informationen und jedwede Unterstützung an, die wir brauchten sofern wir versuchen würden ihrem Volk zu helfen.